Warum wir über Mobbing sprechen müssen

Ein System, das uns alle betrifft
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Bianca Daum

Mobbing ist kein Randthema, sondern ein Spiegel unserer Gesellschaft. Es betrifft Kinder, Jugendliche und Erwachsene – leise, systematisch und oft unbemerkt. Warum wir endlich anfangen müssen darüber zu sprechen, und was jeder Einzelne tun kann, um das Schweigen zu beenden.

 

Mobbing ist kein Einzelfall – es ist Alltag

 

Mehr als sieben Millionen Menschen in Deutschland erleben was es bedeutet ausgegrenzt, verspottet oder zum Schweigen gebracht zu werden. Manchen verlieren dadurch ihren Job, andere Ihr Selbstvertrauen, wieder andere den Glauben an sich selbst und an die Gesellschaft.

Das Erschreckende ist: Mobbing passiert überall. In Klassenzimmern, Teams, Familien, Vereinen – und online, rund um die Uhr! Dennoch wird zu wenig darüber gesprochen.

Warum? Weil Mobbing schambesetzt ist. Weil Menschen Angst haben, selbst ins Visier zu geraten. Weil es leichter ist wegzuschauen, als hinzusehen und zu reagieren.

Der Haken: Schweigen schützt die Täter – nie die Betroffenen.

 

Der Mensch braucht Zugehörigkeit

 

Unserer psychologischen Grundbedürfnisse bestimmen, wie wir fühlen, denken und handeln. Nach dem Psychologen Klaus Grave gehören dazu:

  • Bindung – das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Sicherheit
  • Selbwertschutz – das Bedürfnis, sich als wertvoll zu erleben
  • Orientierung und Kontrolle – das Gefühl, die Welt zu verstehen und sich zurecht zu finden und zu wirken
  • Lustgwinn – die Fähigkeit, Freude und Sinn zu empfinden

Wenn Mobbing geschieht, werden alle vier dieser psychologischen Grundbedürfnisse verletzt. Dem Menschen werden die Bindung gekappt, der Selbstwert verletzt, er verliert Orientierung und die Kontrolle über das was geschieht. Der Lustgewinn geht verloren und oft auch die Freude am Leben selbst. Mobbing ist kein Konflikt! Mobbing ist psychische Gewalt und Grausamkeit.

 

Mobbing ist ein System – kein Zufall

 

Mobbing entsteht nicht, weil jemand von Natur aus böse ist. Es entsteht, wenn in Gruppen unausgesprochene Spannungen, Ängste oder Machtkämpfe wirken. Es braucht:

  • jemanden,  der angreift,
  • jemanden, der mitmacht,
  • jemanden, der zusieht,
  • und jemanden der schweigt.

So bildet sich ein System – ein Netz aus Handlungen, Wegsehen und Angst. Selbst wenn das Opfer oder der Täter die Gruppe verlässt, bleibt die Dynamik bestehen. Darum reicht es nicht, nur über Täter oder Opfer zu sprechen – wir müssen das System dahinter verstehen.

 

Die Folgen sind tief – und – auf den ersten Blick – oft unsichtbar

 

Betroffene beschreiben, dass nichts mehr ist wie es war. Sie fühlen sich nicht mehr wie sich selbst an, sie zweifeln an ihrer Wahrnehmung, sie passen sich an oder ziehen sich zurück. Das Vertrauen in andere – und in sich selbst – bricht. Schule, Arbeit oder Freundschaften werden zu Schauplätzen innerer Kämpfe. Mobbing verändert die Persönlichkeit der Betroffenen, meist für immer. Ziel des Mobbings ist Vernichtung!

 

Warum schweigen gefährlich ist

 

„Ich wollte mich da nicht einmischen“ oder „Es war doch nur Spaß“- diese Sätze hört man oft. Doch Wegschauen, Kleinreden, Schweigen ist kein Schutz, es ist Teil des Problems und des Mobbing-Systems. Jedes Mal, wenn wieder niemand reagiert, festigt sich das Mobbing-System wieder ein Stück mehr.

Hinsehen ist unbequem. Aber Hinsehen ist auch der erste Schritt, um etwas zu verändern. Denn Bewusstsein schafft Bewegung – Schweigen hält fest.

 

Was nutzt mir das – und warum betrifft es uns alle?

 

Wenn wir über Mobbing sprechen, geht es nicht nur um die Betroffenen. Es geht um uns alle – um das Klima, das wir gemeinsam schaffen.

Denn wer Mobbing versteht, gewinnt:

  • Als Betroffene:r lernst du, dass du nicht schuld bist – und dass du Wege hast, dich zu schützen, Hilfe zu holen und dein Selbstwertgefühl zurückzuerobern.
  • Als Zuschauer:in oder Mitläufer:in erkennst du, wie wichtig dein Verhalten ist. Schon ein Blick, ein Satz oder eine klare Grenze kann das System stören – im positiven Sinn.
  • Als Täter:in verstehst du, dass Macht durch Angst nur kurzfristig wirkt – langfristig aber Isolation schafft. Wer Verantwortung übernimmt, gewinnt an echter Stärke.
  • Als Führungskraft, Lehrkraft oder Elternteil bekommst du ein Gespür dafür, wie du früh eingreifen und ein Klima der Sicherheit fördern kannst.

 

Das Wissen über Mobbing ist also kein reines Fachthema. Es ist Selbstschutz, Beziehungskompetenz und Menschlichkeitsbildung zugleich.

Je besser wir das System verstehen, desto eher können wir es verändern – für uns selbst, für Kinder, für Teams, für eine Gesellschaft, die sich nicht über Angst, sondern über Vertrauen definiert.

Mobbing zu verstehen, bedeutet nicht nur, andere zu schützen – sondern sich selbst treu zu bleiben, auch wenn andere schweigen.

 

Fazit

 

Mobbing ist keine Randphänomen. Es ist ein Spiegel dafür, wie wir miteinander umgehen. Wenn wir anfangen, darüber zu sprechen, geben wir Betroffenen eine Stimme – wir holen Menschlichkeit dorthin, wo Angst regiert.

Sich zu kümmern, heißt Haltung zu zeigen. Haltung kann ansteckend sein.

 

Im nächsten Artikel

 

Nächstes Mal geht es um die Frage: „Was ist Mobbing wirklich – und was nicht?“ Wir unterscheiden Konflikte von systematischem Mobbing, schauen auf psychologische Mechanismen und darauf, wie man erste Anzeichen füher erkennen kann.

 

Wer das Mobbingsystem versteht, kann es verhindern, bevor es eskaliert.

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